Maria Goos foto Janita Sassen

Der Letzte Vorhang

(Der Letzte Vorhang heißt in den Niederlanden Doek!)
Ernst Deutsch Theater

HAMBURG

DER LETZTE VORHANG
MARIA GOOS
10.01. bis 17.02.2013

DER LETZTE VORHANG
(DOEK!)
VON MARIA GOOS
Deutschsprachige Erstaufführung
Deutsch von Rainer Kersten
Eine Koproduktion mit dem Renaissance-Theater Berlin


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Liesbeth Tinberge: Suzanne von Borsody
Richard van Berkhoven: Guntbert Wams


Uraufführung: 03.10.2010 Stadsschouwbourg Haarlem
Premiere Berlin: 11.12.2011
Spielzeit 2012|2013
Premiere: 10. Januar 2013
Aufführungsdauer: 2 Stunden, eine Pause
Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag, Reinbek

Regie Antoine Uitdehaag
Ausstattung Tom Schenk
Dramaturgie Gundula Reinig
Regieassistenz Stefanie Wehling
Regiehospitanz Josefina Vilsmaier



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INHALT

3 Besetzung

8 Eine Wahrheit, verpackt in eine Illusion
Interview von Stefan Kroner mit Maria Goos

14 Wie die Bühne zur Welt wird
Thomas Oberender

22 Liz & Dick oder >Wer hat Angst vor Virginia Woolf?<
Christa Maerker

28 Porträt eines Ertrinkenden
Richard Burton

30 Trennung
Elizabeth Taylor

32 Biografie Maria Goos

34 Hinter der Bühne | Impressum

35 Text nachweise I Bildnachweise I Musiknachweise


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EINE WAHRHEIT, VERPACKT IN EINE ILLUSION
Interview von Stefan Kroner mit Maria Goos

Stefan Kroner: Sie arbeiten äußerst erfolgreich als Autorin für Fernsehen, Film und Theater. Liegt Ihnen eines dieser Medien besonders am Herzen?
Maria Goos: Ich schreibe am liebsten Theaterstücke. Im Film und beim Fernsehen ist die eigentliche Produktion, nachdem der Autor das Stück geschrieben und abgeliefert hat, viel komplizierter als am Theater. Es besteht ein viel höheres Risiko, dass das Drehbuch im Verlauf der Produktion im negativen Sinne verändert wird. Die kürzeste Verbindung zwischen dem, was ein Autor schreibt und dem, was andere daraus machen, ist das Theater.

Ihr Stück >Alte Freunde< von 2002 behandelt eine besondere Männerfreundschaft, es ist weltweit ein Erfolg und wurde in viele Sprachen übersetzt. Was hat Sie bewogen, >Der letzte Vorhang< zu schreiben? Ich habe meinen Mann vor 32 Jahren kennengelernt, als wir beide an der Theaterakademie studierten. Ich machte eine Ausbildung als Regisseurin, aber schon bald stellte sich heraus, dass mein wirkliches Talent darin lag, Stücke zu schreiben und ich wurde Autorin. Mein Mann Peter wurde Schauspieler. Seit wir in unseren Zwanzigern waren, ist unser Privatleben extrem geprägt von der Film- und Theaterwelt. Sie ist nicht nur die Welt, in der wir arbeiten, sondern auch die Welt, in der wir leben. Fast alle unsere Freunde sind Regisseure, Schauspieler, Filmemacher und so weiter. Heute bin ich 56 Jahre alt. Ich habe verfolgt, wie Freunde zu internationalen Stars aufstiegen und wie andere in der Versenkung verschwanden. Und dann habe ich mich selbst gefragt, ob diese Liebe, die Passion für das Theatermachen, die unabdingbar ist, wenn man es professionell betreibt, im Wettstreit mit jener Liebe steht, die man mit einem anderen Menschen zu finden sucht.

In >Der letzte Vorhang< springen die beiden Darsteller ständig zwischen verschiedenen Figuren und Zeitebenen hin und her. Stellt das besondere Anforderungen an die Schauspieler? Dieses Stück kann nur von den allerbesten Schauspielern bewältigt werden. Es ist nicht nur eine emotionale Achterbahnfahrt, sondern es bedarf außerdem einer Menge technischen Könnens, um von einer Figur in die nächste, von einem Lebensabschnitt in den anderen zu wechseln, ohne dabei auf äußere Hilfsmittel wie Perücken, Kostümwechsel etc. zurückzugreifen.

In einem Vorwort zu ihrem Stück erwähnen Sie, dass die Protagonisten Lies und Richard starke Bezüge Zu Elizabeth Taylor und Richard Burton haben. Was ist so faszinierend an diesem Paar? Die schmale Grenze zwischen Privatleben und Arbeitsleben, Leben und Schauspiel, wurde von Liz Taylor und Richard Burton oft übertreten oder verschwand ganz. Beides wurde eins. Das ist immer der Anfang eines traurigen Endes.

Glauben Sie, dass Schauspieler, oder Künstler im Allgemeinen, auf »dünnem Eis« leben oder gar leben müssen, so wie es Richard tut?
Ich weiß nicht, ob das notwendig ist. Richard erklärt, dass ein Leben auf der Kippe das einzig lebenswerte ist. Lies ist mit ihm eine lange Zeit diesen Weg gegangen, aber hat sich dann anders entschieden. Und das ist in Richards Augen Verrat. Es gibt die unterschiedlichsten Schauspieler, so wie es in allen möglichen Berufen die unterschiedlichsten Menschen gibt. Aber vielleicht fühlen Schauspieler stärker, als Menschen in anderen Berufen, dass sie besonders lebendig sind, wenn sie arbeiten.

Teilen Sie Richards Credo, dass Schauspieler zu einer Art »emotionaler Elite« gehören, die eine gewisse Verantwortung tragen? Die Verantwortung, »eine Wahrheit, verpackt in eine Illusion« auszusprechen und die Zuschauer zu ermutigen, ihr eigenes Leben zu leben und dadurch die Gesellschaft zu verändern? Ja, ich denke, dass Richard damit vollkommen recht hat. Natürlich gibt es keine allgemeingültige »Wahrheit« in Bezug auf die wichtigen Themen des Lebens, wie die Liebe. Aber das Theater kann dem Menschen die Möglichkeit geben, das eigene Leben durch die Augen eines Fremden zu betrachten. Und genau darum geht es im Theater. Man sieht Menschen, die ein völlig anderes Leben führen als das eigene, aber an einem gewissen Punkt beginnt man, eine Verbindung zum eigenen Leben herzustellen. Die sichere Umgebung eines Zuschauerraumes ermöglicht eine besondere Aufgeschlossenheit für eben diese Verbindungen, die einem letztlich dazu verhelfen können, ein etwas glücklicherer, netterer oder klügerer Mensch zu werden. Das macht Theater so besonders. Ich schaue mir schätzungsweise 50 Stücke pro Jahr an. Wenn es ein gutes Jahr war, kann ich mich nach fünf Jahren noch an eines davon erinnern. Aber eben dieses Stück wird mich dann für immer begleiten, ein Anker für den Rest meines Lebens sein. Und wenn man dann vielleicht irgendwann zehn solcher Anker hat, ist das Leben unendlich reicher als zuvor.

Welche Rolle spielt Theater in unserer heutigen Gesellschaft?
Theater, oder die Kunst im Allgemeinen, gibt uns Gelegenheit, unser Mitgefühl zu schulen, unsere Fähigkeit, die Begrenztheit unseres eigenen Lebens zu überwinden. Es ist wahnsinnig hilfreich zu spüren, dass wir alle auf eine unsichtbare Weise miteinander verbunden sind. Und das hilft uns dabei, Menschen zu werden, anstatt uns langsam in Maschinen zu verwandeln.



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WIE DIE BUHNE ZUR WELT WIRD
Thomas Oberender

Die zirkuläre Welt. So liberal die Welt des Theaters erscheint, so einladend sie für junge Menschen als Hort der Kreativität, des leichten Mittuns und der Freiheit wirkt, so autoritär und fern jedes umfassenden Wir-Gefühls erweist sie sich nur später allzu oft. Nackte Egomanie steht am Theater dicht neben fühlbarer Abhängigkeit, die Allianz immer nah der Gegnerschaft. Jeder ist außerordentlich vertieft in das Leben des anderen, das bald zur einzigen Quelle von Neuigkeiten und Inspirationen wird. Aufgrund mangelnder Außenkontakte wandelt sich das Theater tendenziell in einen vampirischen Betrieb. Wann immer in diesen Häusern der eine in das Zimmer des anderen kommt, setzt das Aussaugen ein: Welche Bücher stehen im Regal? Was für Briefe liegen herum? Welche Notizen hängen an der Wand? Wo hat jemand sein Hemd, seine Tasche, seine Schuhe gekauft? Was läuft für Musik? Es ist eine Schnellbetankung mit Eindrücken, Inspirationen, Material, eine beinah zwanghafte Entblätterung von Eigenarten und der Enthüllung von Geheimnissen, die als zwischenmenschliche Umgangsform jedem Neuling am Theater befremdlich und taktlos erscheinen muss.

Da sich in dieser zirkulären und selbst ausbeutenden Welt fast ausschließlich alles umeinander dreht, sind Außenkontakte höchst selten, und nicht zufällig wird meistens, wenn Schauspieler über ihre Rolle sprechen, unausweichlich über die eigene Kindheit, den letzten Urlaub oder die eigene Familie berichtet. Diese Erlebnisbereiche bilden die letzten Außenposten sozialer Erfahrung jenseits des Theaters. Der Rest ist das geschlossene System der Betriebsangehörigen, das notdürftig belebt wird von Fremdeinspeisungen durch Filme, Romane, Fotos, die sofort eingehen ins große Inspirationsrecycling der pausenlos Beschäftigten. Doch diese fast klösterliche Aufeinanderbezogenheit erzeugt zugleich auch ein so intensives, einander forderndes und förderndes Miteinander, wie es »draußen« kaum zu finden wäre. Wer dieses unausgesetzte Produzieren immer nur flüchtiger Güter einmal erlebt hat, die euphorisierende Energie einer ständigen Überforderung und Aufforderung zur Erfindung, zur Zusammenarbeit und Entwicklung, wird sie als einen Lohn eigener Art immer mit sich tragen. Sie verleiht der sich rasend schnell selbst ausbeutenden Gemeinde so etwas wie den inneren Leim und kräftigen Puls und bewirkt zudem, dass in dieser hermetischen Mikrogesellschaft, unter den Bedingungen engster Verwiesenheit aufeinander und größter Konkurrenz zueinander, dennoch repräsentative Erfahrungen für die Welt draußen gemacht werden können.

Die innere Figur. Was immer die Figur auszeichnet, entstand als Collage von Handlungen, deren Elemente in kleinste Einheiten zerlegt, mit professioneller Wachsamkeit geprüft und nach bestem Wissen und Können verbessert wurden, bis das, was übrig bleibt, den Prozess seiner Entstehung vergessen macht und keine Schnitt- und Nahtstellen mehr erkennen lässt. Dafür überschreiten die Schauspieler die Grenzen ihrer Figur in Mikroschritten, um irgendwann aufs Ganze zu gehen. Und am Ende ziehen sie diese Collage wie ein Sternengewand unter die Haut. Dann werden sie in ihrer Rolle zum Instrument einer Musik, deren Erklingen zwar eine Vielzahl von technischen Voraussetzungen hat, das aber vor allem darauf beruht, dass sich die Schauspieler in ihrem Inneren zu einem resonanzfähigen Körper entwickelt haben.

So diese Musik in ihnen erklingt, macht sie auch die unförmigen Leiber schön. Sie ist die Resonanz eines großen Lebens in einem kleinen Menschen. Er wurde zum Gefäß eines seelischen Wissens, zu dem ihn die Texte und seine Handlungen auf den Proben führten. Die Arbeit an der äußeren Figur ist daher stets begleitet von der Kreation jener inneren Gestalt, die den Schauspieler befähigt, sein kleines Leben in die großen Schwingungen der Figur zu versetzen. Dazu dienen ihm die Empirie der Fakten und die Euphorie der Gedanken und die Reflexion der seelischen Erfahrungen - sie bilden den inneren Leib und den eigentlichen Klangkörper seiner Figur. So sich die Resonanz einstellt, verleiht sie der Erscheinung der Schauspieler auf der Bühne eine beispiellose Sicherheit und Präsenz. Dafür achten sie auf sich und ihren Leib, und auch wenn sie ihn schinden und mit Drogen traktieren, sind sie wie Leistungssportler ihm stets enger und wachsamer verbunden, als wir Alltagsmenschen und haken in ihm Fertigkeiten und Ressourcen am Leben, die im Leben sonst kaum mehr gebraucht werden.



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LIZ & DICK ODER >WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?<
Christa Maerker
Nach langen Wochen der Ruhe mischten sich Elizabeth (Liz) Taylor und Richard (Dick) Burton wieder in die Verhandlungen zum Film >Wer hat Angst vor Virginia Woolf?< ein. Die ziehen sich schon ein paar Monate hin, seit Krnest Lehman, der exzellente Drehbuchautor (>Der unsichtbare Dritte<, >West Side Story<), das brillante Kammerspiel Edward Albees adaptiert hat. Lehman wird auch die Produktion übernehmen. Es gibt ein Foto, auf dem Elizabeth ihren damaligen Ehemann Mike Todd anzufauchen scheint. Seit Lehman das gesehen hat, kann er sich Elizabeth als die keifende Ehefrau Martha vorstellen. Aber Richard als ihren Ehemann George, oft ein Hänfling in diesem Ehekrieg, aber einer, der sich aufblähen kann und gefährlich wird? Er kennt ihn als Anthony, als Hamlet, aber kann sich ihn beim besten Willen nicht als provinziellen, fast gebrochenen Mann vorstellen, den Martha oft und gern einen »Versager« oder ein »Nichts« nennt. Er stellt sich zum Beispiel Glenn Ford als George vor oder noch lieber Jack Lemmon, schlurfend, mit Witwenbuckel und dürftigen Haaren, der seinen einzigen Halt aus dem Glas bekommt, das er ständig in der Hand hält. Elizabeth ist zwar erst Mitte dreißig, Martha ist Anfang fünfzig. Sie wirkt heruntergekommen, eine schlampige Trinkerin, ausgesprochen vulgär und viel dicker als Elizabeth im Moment - doch Lehman traut ihr zu, das spielen zu können, wenn sie auf ihren perfekten Glanz verzichtet und ein bisschen dicker wird. Das fallt ihr doch nicht schwer! Richards Agent ruft Lehman an und annonciert Richards Interesse. Da Lemmon gerade abgesagt hat, schlägt Lehman Jack Warner, dem Präsidenten der Warner Bros. Studios, nun vor, Richard Burton als George zu nehmen, der aber haut auf den Tisch. Wer soll denn das bezahlen? Außerdem sei Albee gegen das prominente Paar, das aus jeder Film-Story eine Liz & Dick-Geschichte mache. Er könne sich Bette Davies und James Mason als kämpfende Ehepartner vorstellen. Elizabeth testet ihre Macht - und hält Ernest Lehman noch ein bisschen hin -, bis sie eine Zusage bekommt: Ja, Richard wird die Rolle bekommen, und ja, er wird auch die dreiviertel Million erhalten und eine Gewinnbeteiligung. So weit, so gut. Bei einem Dinner mit Lehman soll dann auch die Entscheidung über den Regisseur gefallen sein, dessen Name zuerst einmal Sprachlosigkeit auslöst: Mike Nichols. Ist das nicht der Komiker, der noch nie einen Film gedreht hat? Nichols, ein deutscher Jude, der als Kind vor dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern nach Amerika emigrierte, ist ein mit Tonys überhäufter Theaterregisseur - seine Inszenierung von >Barfuß im Park< lief über 1500 mal am Broadway und gilt als Genie. Das sagen alle. Aber er bevorzugt Komödien. Jack Warner haut wieder auf" den Tisch und sagt: »O.k.« Am Abend vor Probenbeginn ruft Nichols Ernest Lehman an und ermahnt ihn, endlich gute Nachrichten über ihn zu verbreiten, aber nicht nur anderen gegenüber. Er brauche auch einmal ein Kompliment, endlich einen Kick. Dann sitzen die Schauspieler, die Burtons, Sandy Dennis und George Segal mit Nichols an einem Tisch, lesen und diskutieren ihre Texte, von denen Richard voller Hochachtung zu Lehman sagt, dass die überragende Qualität des Drehbuchs ihm etwas Angst mache. Besseres habe er noch nie gelesen. Die Ängste der anderen beziehen sich auf das Ganze: Wird Elizabeth es schaffen, nicht schön auszusehen? Sie schafft es. Fast. Nur in der ersten Szene sieht ihr Gesicht wie gemeißelt aus, aber wenn sie dann den Mund aufmacht, ist sie die dicke, saufende Martha, die sich in vie'l zu enge Hosen presst und keift wie die Frau eines Kesselflickers. Elizabeth hat über 25 Pfund zugenommen und ist großartig. Das wird wirklich ihr Hamlet. Richard hatte recht. Im selben Atemzug, in dem er sie vor der Rolle warnte, hatte er gesagt: »Du solltest das machen, um zu verhindern, dass jemand anderes die Martha spielt und eine Sensation wird.« Jetzt ist Martha ihre Sensation: Sie ist die Tochter des Universitätspräsidenten und selbst Akademikerin, die aber nie gearbeitet hat. Als sie ihren George heiratete, war das bestimmt auch aus Liebe. Unterschwellig ist die auch noch vorhanden, aber so tief verkrustet unter Verachtung und Hass, Langeweile und Verzweiflung, sie geben ihr kaum eine Chance. Martha erinnert ihren Mann ständig daran, dass er es nie aus der Geschichtsfal-kultät herausgeschafft hat. Eine große Karriere hätte er machen sollen, um ihres Vaters Wunsch nach einem Nachfolger zu erfüllen. Aber George hat versagt. Und jetzt sind beide zu alt, zu alt jedenfalls für Änderungen, die in das eigentlich ersehnte normale Familienleben mit Kind und Haus und Garten führen könnten. Jahrelang haben sie es gespielt miteinander, sich eine schönere Realität erfunden. Aber was nun?

Nichols hatte sich gesagt, dass nur Elizabeth ähnliche Erfahrungen gemacht habe wie Martha: Sie ist mit einem brillanten Mann verheiratet, der zu Hause aber doch auch ein Mensch ist. Besser als andere kenne sie eine solche Verbindung, in der die tiefe Nähe auch immer schmerzhafte Facetten birgt, in der die Intimität das Geheimnis beider auslöscht und wenig Platz für Hoffnung oder wenigstens ein paar tröstende Illusionen lässt. »Für die meisten Schauspielerinnen liegt das viel zu weit außerhalb ihres Erfahrungsbereichs«, sagt Nichols und weiß, dass er die richtige Wahl getroffen hat. In einer Szene erträgt sie die sadistischen Attacken von George nicht mehr, sie hat keine Worte und spuckt ihm ins Gesicht: Nach mehreren Wiederholungen der Szene bricht Elizabeth weinend ab.

Es ist nicht auszuhalten. Martha und Elizabeth - das ist zu nah. Auch Richard ist fantastisch als der Verlierer, das Nichts, das offensichtlich nur einen keinen Traum übrig hat: Als Martha mit dem Gast, dem jungen Biologieprofessor Nick, ins Bett geht, bricht er zusammen und weint. »Ich bin George«, sagt er zu Lehman, der begeistert rindet, dass Richard durch Make-up, Brille und Kleidung zur Eigur geworden ist. Ich bin George, ich spiele nicht, heißt sein Satz. Egal, ob er eine Brille trägt oder eine hässlichc Strickjacke. Während des Drehens hat er ein paar der schlimmen, schwarzen Tage, die ihn manchmal überfallen und lähmen. Nichols schiebt das auf sein Trinken, entweder zu viel oder zu wenig. An solchen Tagen kann er nicht spielen. Einmal soll er nach 60 Takes derselben Szene aufgegeben haben. Heute nicht. Es geht nicht. Ein anderes mal versucht er es gar nicht erst. Er bleibt stumpf in seiner Garderobe sitzen. Nein, jetzt kann ersieh mehr Quälereien und Kränkungen nicht aussetzen, auch wenn sie gespielt sind.



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PORTRAT EINES ERTRINKENDEN
Richard Burton

Wer mag er sein
Dieser Mann, allein in der Ecke der Bar?
Wer mager sein
Dieser Mann, allein, einsam, grübelnd.
Sich erinnernd
Was mag er sein?

Die Schultern gebeugt.
Das Gesicht zernarbt, zerfurcht und zerklüftet
Von den kleinen Tragödien des Lebens.
Der schräge Spiegel an der Wand
Mit dem Emblem von Coope und Alsop
Wirft seine fliehende Stirn zurück,
Die breiten Schultern,
Die ruhigen, behaarten Affenhände.
Welche Last lag, liegt
Auf diesen gebeugten Schultern.
Dieser Mann, allein, einsam, grübelnd. Sinnierend,
Was er wohl sein mag.
Nichts?

Oder durchlebt er erneut den immer gleichen Albtraum,
Den er erlitt und anderen zufügte,
Das gebrochene Versprechen, das nicht gehaltene Wort,
Seine Hand auf frischer Tat ertappt in der Kasse der Gefühle,
Dinge, die er nie tat und auch niemals tun würde,
Verlorene, geliebte Dinge. Hoffnungslose Dinge, längst verloren,
Die heiße Schamesröte der Kindheitslügen,
Liebe, Hass und Angst und wieder Liebe und Hass
Und der unendliche, schreckliche, unabwendbare Zorn Gottes.
Hört er das leise Geheul des Todes?

Gebeugt, einsam, schweigend.
Dieser Mann, allein in der Ecke der Bar
Dieser Mann, allein, einsam, grübelnd.
Wer mag er sein?
Ich hebe meinen Blick von dem bitteren Bier
Ich sehe den Mann im Spiegel.
Dieser Mann bin ich.

5. November 1965


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TRENNUNG
Elizabeth Taylor

Ich bin der Überzeugung, dass es richtig und konstruktiv ist, wenn Richard und ich uns für eine Weile trennen. Vielleicht haben wir uns zu sehr geliebt. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Aber wir haben immer aneinandergeklebt und waren nur getrennt, wenn es um Leben und Tod ging. Das hat, glaube ich, zu einem vorübergehenden Zusammenbruch der Kommunikation zwischen uns geführt. Ich glaube von ganzem Herzen, dass uns die Trennung wieder dahin zurückbringt, wo wir sein sollten - zusammen. Ich denke, dass ich in ein paar Tagen nach Kalifornien zurückkehre, weil dort meine Mutter lebt und ich dort alte, echte Freunde habe. Freunde sind dazu da, sich gegenseitig zu helfen, oder? Wenn irgendjemand aus dieser letzten Erklärung etwas Unanständiges herausliest, kann ich nur sagen, das ist dann die Auffassung des Lesers, nicht meine, die meiner Freunde oder meines Ehemannes. Drücken Sie uns die Daumen für diese schwere Zeit. Beten Sie für uns.
4. Juli 1973



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BIOGRAFIE MARIA GOOS

Maria Goos wird am 25. Februar 1956 in Breda, Niederlande, geboren. Nach dem Schulbesuch studiert sie von 1977 bis 1982 an der Maastrichter Theaterakademie Regie. Erste Theatertexte entstehen, bei denen sie selber Regie führt. 1985 übernimmt sie zusammen mit Arie Kant die künstlerische Leitung des Theaters De Kompaan. In den folgenden Jahren werden ihre Stücke erfolgreich in den Niederlanden aufgeführt. Zu Beginn der Neunziger Jahre beginnt Maria Goos Fernsehdrehbücher zu schreiben. Die 1991 erscheinende Anwaltsserie >Pleidooi< wird 1993 als beste Fernsehserie mit dem Goldenen Kalb, dem höchsten niederländischen Filmpreis, ausgezeichnet. Ihre 1995 erscheinende Fernsehserie >Oud Geld< wird gleich mehrfach mit diesem Preis bedacht. 2000 feiert ihr Drama >Familie< erfolgreich Premiere und wird im Folgejahr fürs Fernsehen adaptiert und mit mehreren wichtigen Kritikerpreisen ausgezeichnet. 2001 führt sie bei ihrem Stück >Nu Even Niet< wieder selbst Regie, 2002 folgt >Cloaca< (>Alte Freunde<), das ebenfalls für Film und Fernsehen von ihr umgeschrieben wird und mehrfach ausgezeichnet wird. Die englischsprachige Erstaufführung wird 2004 von Kevin Spacey am Old Vic Theatre in Eondon realisiert. Für ihren Beitrag zur niederländischen Kultur wird ihr 2005 der Literaturpreis De Gouden Ganzenveer verliehen. 2008 wird sie mit dem Edmund Hustinx-Preis als bedeutendste Autorin ausgezeichnet. 2010 erscheint >Doek!< (>Der letzte Vorhang<), das mit dem AVRO Publikumspreis ausgezeichnet wird. Ihr aktuelles Stück >De Hulp< wird in ihrer Regie 2011 uraufgeführt. Maria Goos arbeitet als Kolumnistin für die holländische Zeitung >De Volkskrant< und tritt gelegentlich als Schauspielerin auf. Sie ist mit dem Schauspieler Peter Blok verheiratet und lebt in Amsterdam.




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HINTER DER BUHNE | IMPRESSUM

Technische Leitung
Henning Best, Technischer Leiter Gerd Wittig, Stellvertreter, Leiter Haustechnik

Konstruktionsleitung
Fabian Zell

Bühnentechnik
Jürgen Lüdcke, Bühnenmeister Frank Schmidt, Bühnenmeister Hartmut Kirschstcin, Seitenmeister Torsten Boog Jan Gauda Olejahncke Bodo Salm Klaus-Dieter Winkler Heinz Wittig Armin jansen, Kraftfahrer Stefan John, Aushilfe Fatrik-Kofic Avanyoh, Azubi Mostafa Navid Osmani, Azubi Yaiza Sandhack, Prakt.

Haustechnik
Clemens Fiedler

Ton- und Videotechnik
Alexander Behrens, Leitung
Daniel Brovelli
Jan Grodzinski, Azubi

Beleuchtung
Torsten Kiehn, Beleuchtungsmeister Holger Schröder,
Beleuchtungsmeister Tilman Binder

Requisite
Yvonne-Alice Gaudes Tim Ilsemann Jessica Scheiblich

Werkstattleitung
Frank Gooßen

Tischlerei
Wolfgang Klofski Sven Westendorf

Schlosserei
Volker Siemsen

Malsaal
Ditte Koopmann, Leitung
Martina Köster

Deko
Mira Kuczynski

Maske
Gcsine DUcher, Leitung
Sarah Wulf
Sophie Rogge, Azubi

Kostümiabteilung
Peter Conrad, Gewandmeister Anja Fas.sel, Gewandmeisterin Rosa Hildebrandt Carola Lang

Künstlergarderobe
Sonja Lüders, Leitung Mirjam Dörr

Inspizienz
Bruno Bachern

Impressum
Herausgeber:
Ernst Deutsch Theater
GmbH
Intendantin:
Isabclla Vertes- Schütter
Intendanzsekretärin:
Rita Schweitzer
Kaufmännischer Direktor: Jens-Peter Löwendorf
Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit:
Friedrich Carl,
Mark Schröter
Redaktion: Stefan Kroner, Julian Süssmann
Gestaltung: Peter Schmidt
Druck: Nehr & Co GmbH

Ernst Deutsch Theater Friedrich-Schütter-Platz 1 22087 Hamburg
T 040. 22 70 14 20 F 040. 22 70 14 25
www.ernst-deutsch-theater.de



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TEXTNACHWEISE | BILDNACHWEISE | MUSIKNACHWEISE

Eine Wahrheit, verpackt in eine Illusion
Ein Interview mit Maria Goos von Stefan Kroner Originalbeitrag für dieses Heft

Wie die Bühne zur Welt wird
von Thomas Obercnder
In: >Leben auf Probe. Wie die Bühne zur Welt wird<,
München 2009

Liz & Dick oder >Wer hat Angst vor Virginia Woolf?<
von Christa Maerker
In: >Wir haben uns verzweifelt geliebt.
Elizabeth Taylor und Richard Buttons Berlin 2011

Porträt eines Ertrinkenden
von Richard Burton
In: Sam Kashner | Nancy Schoenberger: >Furiuus love: Elizabeth Taylor und Richard Burton - die Liebesgeschichte des Jahrhunderts<, München 2012

Trennung
von Elizabeth Taylor
In: Sam Kashner | Nancy Schoenberger: >Furious love: Elizabeth Taylor und Richard Burton - die Liebesgeschichte desjahrhunderts<, München 2012

Biogralie Maria Goos
zusammengestellt von der Redaktion

Ein Teil der Texte wurde redaktionell bearbeitet, teilweise gekürzt und der neuen Rechtschreibung angepasst.

Bildnachweise
Probenfotos: Braun | drama-berfin.de
Foto Maria Goos von Jan Giliam van Arkel

Musiknachweise
Charles Mingus >Goodbye Pork Pie.Hat< aus: >Blues & PoIitics<
Charles Mingus >Haitian Fight Song< aus: »Blues & Politics<