Maria Goos foto Janita Sassen

Alte Freunde

(Alte Freunde heißt in den Niederlanden CLOACA)
→ Während sie an Cloaca schrieb, führte Maria Goos Tagebuch.
KlenkesKlenkes, Mai 2010

Bildunterschrift: Tim Riedel und Michael Schwager sind zwei der „Allen Freunde" im Grenzlandtheater

Nicht lebenslang nur üben


Von Robert Targan

Das Grenzlandtheater zeigt „Alte Freunde"

In der Einführung zum Stück „Alte Freunde" fragt Grenzlandtheater-Intendant Uwe Brandt, ob Selbstbetrug und emotionale Hilflosigkeit typisch männliche Probleme seien. Nach knapp zwei Stunden mag man resümieren: Scheinbar schon.

joep, Pieter, Tom und Maarten kennen sich seit Jahren, haben gemeinsam studiert, gefeiert und sich ewige Treue geschworen. Am Ende der Vierziger angelangt, sind solcherlei Erinnerungen längst verblasst; Geld und beruflicher Erfolg stehen nun weit oben. So greift Joep etwa nach einem aussichtsreichen Ministerposten, vergisst dabei jedoch Frau und Familie: „Die Sachen, um die es im Leben geht, flutschen einem aus den Fingern." Pieter nimmt ihn auf und erzählt von seinen eigenen Sorgen, bekam er als Beamter der städtischen Kulturverwaltung doch jahrelang Gemälde geschenkt - scheinbar wertlos doch heute millionenfach im Wert gestiegen. Die Stadt verlangt nach den Werken, Pieter hat die Hälfte längst verkauft.

Das Schauspiel von Maria Goos besticht durch eine schonungslose Offenlegung (männlicher) Lügengebäude, zeigt deren Zusammensturz und den daraus resultierenden Trümmerhaufen auf. Die Regiearbeit Ulrich Wiggers' rückt klar die vier Protagonisten in den Vordergrund und gewährt dem Quartett eine sukzessive Selbstoffenbarung. Da ist Tom, einst Top-Anwalt, nun koksender Werbekatalog-Texter. Dass er zwei Monate „in der Klappse" war, wissen die Freunde. Beigestanden hat ihm niemand: „Du wolltest bestimmt keinen Besuch", vermutet Joep.

Hier liegt das Hauptproblem der einst verschworenen Truppe - sie kommunizieren aneinander vorbei. Wenn der vierte im Bunde, Theaterregisseur Maarten, von seiner aktuellen Premiere berichtet, befürchten die anderen, mal wieder während des Stückes einzuschlafen. Dabei wird Joeps 18-jährige Tochter Laura darin nackt auftreten, „aus inhaltlichen Gründen", wie Maarten beteuert. Dieser liefert möglicherweise auch das zentrale Zitat im Schauspiel: „Man kann doch nicht sein Leben lang nur üben - irgendwann muss es doch auch mal was sein!"

Heinz Simon Keller, Tim Rieder, Michael Schwager und vor allem Frank Watzke in der Rolle Pieters entfalten vier Biographien auf der Bühne, die unterschiedlicher und doch identischer nicht sein könnten. Erwähnt sei jedoch auch Juliane Maria Wolff die als Prostituierte Joep an seinem Geburtstag mit ihrer Kaiserschnittnarbe an den Geburtskampf der eigenen Frau erinnert. Da kippt die vermeintliche Komödie ins Tragische und endlich werden Gefühle offenbart.

Letztlich erhält der Zuschauer keine Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Eher wird er in der Annahme bestärkt: Karriere geht vor Freundschaft und männlicher Stolz gar vor dem sauren Apfel. Fünfzehn Minuten und ein paar männliche Stereotype weniger stünden dem Stück sehr gut.
SuperSonntagSuperSonntag 25.4.2010

Wenn die Fassade bröckelt


Von Myriam Weber

„Alte Freunde" feierte Premiere im Grenzlandtheater

Aachen. „Alte Freunde" -das klingt nach tiefer, langjähriger Verbundenheit. Doch in Wahrheit ist jeder der vier Freunde nur mit sich selber beschäftigt.

Maria Goos veranschaulicht in ihrem Stück „Alte Freunde", das noch bis zum 16. Mai, im Grenzlandtheater zu sehen ist, was hinter der Freundschafts-Fassade der vier Mittvierziger steckt. Dass Tom (brilliant in seiner Rolle: Tim Riedel) kokainabhängig ist und in der Psychiatrie saß, ist den „Freunden" entgangen, genau so wie Joep den 18. Geburtstag seiner Tochter verpasst hat. Viel zu sehr ist der Politiker mit seiner Karriere beschäftigt und damit, sich wegen seiner Ehekrise selbst zu bemitleiden.

Er flüchtet zu Pieter (Frank Watzke). Sein Wohnzimmer (dekoriert mit Bildern Aachener Künstlern) ist auch Schauplatz der gesamten Handlung.

Nach und nach offenbaren die vier.Männer ihre wahren Gesichter, die scheinheiligen Fassaden bröckeln. So offenbart der selbstbewusste Theaterregisseur Maarten (Michael Schwager) „den kleinen Mann dahinter". Er hat Joep's 18-jährigen Tochter eine Nachrolle in seinem neuen Stück gegeben und sie verführt. Sein wahres Gesicht zeigt er bei der Geburtstagsparty von Joep, bei der krampfhaft versucht wurde, das Bild der innigen Männerfreundschaft zu wahren. Im Theater tanzen alle nach Maartens Pfeife, nicht so Joeps „Geburtstagsgeschenk", eine Hure (Juliane Maria Wolff). Sie hat den „kleinen Mann" hinter Maartens Fassade entlarvt, als er aggressiv und aufbrausend wird. Der ruhige Gegenpol ist der einfühlsame Pieter, Beamter in der Kulturverwaltung, der vor Jahren Bilder geschenkt bekommen hat, die nun im Wert gestiegen sind, und zurückverlangt werden. Das

Problem: einige hat er schon verkauft. Charmant und witzig verkörpert Frank Watzke die Figur des Pieter, die man sofort ins Herz schließt. So unterschiedlich die Charaktere sind, haben sie doch eines gemeinsam: sie sind zu sehr mit sich selber beschäftigt, um den anderen ein guter Freund zu sein. Die brillante schau spielerische Leistung macht das Stück absolut sehenswert.
Grenz-Echo, 19.04.2010

Bildunterschrift: Vor der mit zeitgenössischer Bildkunst bestückten Kulisse im Grenzlandtheater Aachen agierte das Team unter der Regie von Ulrich Wiggers dynamisch und eindrucksvoll. Das Publikum gab der Inszenierung gute Punkte.

Alte Freunde«: Ein Stück zum Nachdenken im Grenzlandtheater Aachen

Männer zwischen Ego und Wahlverwandtschaft


Von Sibylle Offergeid

Fast alle wollen Bindungen. Möglichst knotenfrei, mit losen Enden und ohne das Gefühl, stranguliert zu werden. Nur wahre Freundschaft hebelt den Fluchtinstinkt aus.

Am Gefühl der Freundschaft wärmt man sich wie an einem bullrig warmen Ofen im Winter. Vor allem Männer scheinen das Empfinden wortloser Verbundenheit bei gleicher Ebene der Wertigkeit zu schätzen. Wie Freundschaften funktionieren, oder auch nicht, untersuchte die Autorin Maria Goos.

In ihrem Schauspiel »Alte Freunde« ist sie der romantisch verbrämten Wahlverwandtschaft zwischen Männern auf der Spur. Ihre Analyse ist witzig, voller Schmunzeleffekte, aber im Kern, bitterernst. Die Regie (Ulrich Wiggers) bläst Dynamik in zähflüssige Passagen, das Bühnenbild (Walter Schwab) fügt pastellfarbene Leichtigkeit hinzu.

Vor einer mit zeitgenössischer Bildkunst bestückten Kulisse im Aachener Grenzlandtheater schwelgt der sensible Pieter (Frank Watzke) bei Puccini-Klangmacht Im ornament-reichen Gewand (Kostüme Heike M. Schmidt, Zarah Boras) in der Pose des von Melancholie umflorten Bayernkönigs Ludwig.

Melancholie

Die Kollegen der Kommune sitzen dem Kunstfreund im Nacken. Er soll längst veräußerte Gemälde zurückgeben. Freund Tom, einst Top-Anwalt (Tim Riedel), könnte helfen, wäre er nicht dermaßen' verkokst. Auch Joep (Heinz Simon Keller) könnte seine Beziehungen zum Ministerium spielen lassen.

Gefährte Maarten (Michael Schwager), Theaterregisseur, berauscht sich an großen Worten über den unverbrüchlichen Zusammenhalt.-.' der Freundschaft. Unlängst hat er sich Joeps halbwüchsiger Tochter genähert. Da schwankt die Front aus Treueschwur und Loyalitäts-Allianz.

Auch die Fassaden der Mittvierziger bröckeln, sie verlieren ihre Hüllen, so wie die Stripperin (Juliane Maria Wolff), deren libidinöse Dienste nicht wie geplant, zum Zug kommen. Irgendwann ist sie nur noch mütterlich Tröstende für einen einsamen, verirrten Mann, der sich noch eben für einen »ganzen Kerl« hielt.

Hier ist die Niederländerin Maria Goos in ihrem Stück ganz nah am Knackpunkt, an der Bruchlinie zwischen Mann und Mensch, zwischen Rollen-spiel und "wahrer Identität, zwischen Illusion und Wirklichkeit. Und die Freundschaft? Ist sie doch nur ein leerer Wahn?

Musketiere

Das Ende der vier Bühnenschicksale wird der Theaterbesucher in seiner Phantasie weiterspinnen. Etwa so: Joep wird Staatssekretär und bricht seine Beziehungen zur- alten Clique ab, Tom endet in der Psychiatrie, Maarten spielt sich weiter selbst etwas vor und Pieter beendet sein nicht., gelebtes Leben. Wie die Musketiere im Abenteuerroman haben alle vom Ideal der Freundschaft geträumt, weil Männer Ideale haben und einen geschützten Raum brauchen, in dem Gruppendynamik Ängste auffängt. Natürlich braucht jeder Mann auch eine kleine Blume, die er liebt.

Dem vielschichtigen Gründeln der Autorin setzen Regie und Choreographie (Marga Render) eine bewegte Motorik entgegen. Gegen Ende des Stücks werden die Szenen kürzer. Das Publikum gab der Inszenierung und der eindrucksvollen Schauspielkunst gute Punkte und applaudierte freudig.

Flyer für Alte Freunde



Schauspiel von Maria Goos
„Mensch, Jungs! Alle drei auf einem Haufen! Cloaca! Tom auch hier. Hab gehört, du warst 'ne Weile nicht ganz ansprechbar. Schlimme Sache, was? Dass so was passieren kann, ohne dass die eignen Freunde das mitkriegen." (aus „Alte Freunde")

Juliane Maria Wolff ging zuerst an die Staatliche Ballettschule Berlin, studierte dann an der Universität der Künste Berlin. Bereits während des Studiums spielte sie die Rosalia in „West Side Story" bei den Ostseefestspielen Stralsund. Nach ihrem Abschluss wurde sie als'Solo-Sängerin für „Palazzo" engagiert und war 2008/2009 in „My fair Lady" im Admiralspalast Berlin und im Deutschen Theater in München zu sehen. Neben dem Theater arbeitet sie als freie Sängerin in den Bereichen Jazz, Chanson und Pop.

Ulrich Wiggers (Regie) erhielt seine Schauspielausbildung an der Folkwang Hochschule in Essen. Schon damals war er Regieassistent, u. a. für Werner Kraut und Helmut Lohner. Theaterengagements führten ihn an die Schauspielhäuser Düsseldorf, Bremen, Essen und Bochum. Im Grenzlandtheater stand er als Henry Higgins in „My fair Lady" auf der Bühne. Zu seinen Regiearbeiten zählen u. a. „Katzeimacher", „Ein Sommernachtstraum" sowie zuletzt das Musical „Hermann der Matrose" im Theater am Potsdamer Platz Berlin.

Walter Schwab (Bühnenbild) studierte an der Hochschule der Künste in Berlin bei Professor Willi Schmidt und war anschließend Assistent von Professor Wilfried Minks in Bremen. Sein erstes festes Engagement erhielt er am Staatstheater Darmstadt. Seit 1976 ist er als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner tätig, u. a. am Theater an der Wien, am Thalia Theater, am Theater des Westens sowie am Münchner Residenz Theater. Seitdem entstanden unter seiner Leitung etwa 160 Arbeiten für Oper, Schauspiel, Ballett und Musical.

„Man kommt in der Freundschaft nicht weit, wenn man nicht bereit ist, kleine Fehler zu verzeihen." Jean de La Bruyère

Doping für das gestresste Hirn und das wackelige Ego


Kokain ist Treibstoff der Kreativen und Statussymbol der Schickeria. „If your day is gone and you wanna ride on" -wenn dein Tag zu Ende ist und du weiter machen willst - Eric Clapton empfahl für diesen Fall 1977 ein sicheres Mittel: „Cocaine". (...) Kokain, seit fast 100 Jahren beständige Modedroge besserer wie halbseidener Kreise, hat schon Unzählige zu Boden gerissen. Einer, der nicht wieder aufstand, war Rainer Werner Fassbinder. Hemmungsloser Konsum von Kokain und Beruhigungspillen killte Deutschlands produktivsten Filmemacher im Juni 1982 im Alter von 37 Jahren. Kurz zuvor hatte der Künstler bekannt, er sei manisch-depressiv und versuche durch ein „Übermaß an Arbeit", seine Ängste in Schach zu halten. „Eigentlich bin ich nur glücklich, wenn ich Filme mache. Das ist meine Droge", so Fassbinder. Koks gilt Kreativen und Hochleistern als Treibstoff. Egal ob unter Managern in der New Economy, Journalisten, Werbeleuten oder Sportlern, Pop-Idolen und Filmstars - Kokain ist Doping für das gestresste Hirn und das wackelige Ego. Und Kokain ist - im Moment gerade wieder besonders - in: „Schnee" ist das Ecstasy der Arrivierten. Es ist eine Mär, dass Kokain den Kick zur Genialität garantiere. Fassbinder habe, so der Münchner Suchtexperte Felix Tretter, seine größte innovative Produktivität mit Anfang 20 gehabt, damals noch ohne Kokain. Der Rockmusiker David Bowie beschreibt seine Koks-Phase Mitte der siebziger Jahre als „albtraumhafte Zeit, voller geistiger und emotionaler Gewalttätigkeit". Tagelang habe er damals, beschrieb Bowie später, an vermeintlich geilen Songs gefeilt und dann festgestellt, dass er „absolut gar nichts zu Wege gebracht hatte". (...) Die spezielle Gemeinheit von Kokain: Exzessiver Konsum endet häufig in der Psychiatrie. Kokainiker leiden unter Paranoia, Ängsten, Realitätsverlust und Depressionen. Herz und Kreislauf droht der Kollaps. Die Ausstiegsprognose ist trotzdem günstig. Das Absetzen der Droge ist meist in einer Woche zu schaffen. Es bedeutet aber den freien und tiefen Fall aus der Rauschwelt. Kokainiker auf Entzug heulen Rotz und Wasser, werden von Depressionen schier erdrückt und dürfen keinesfalls allein gelassen werden. Ohne einen Menschen, der sie stützt und aufbaut, sind Kokser auf Entzug extrem selbstmordgefährdet.